Unter verfolgten irakischen Christen

Létrehozva: 2017.05.19. 11:01, frissítve: 2017.06.26. 23:05
Text: Tamás Fabiny / Bischof, ELKU
„Ungarische Fahne in Erbilb?“ – fragte ich erstaunt von Klára Keveházi, der Direktorin für nationale Entwicklung und humanitäre Aufgaben des Ökumenischen Hilfswerks in Ungarn, als wir am 22. April am internationalen Flugplatz der kurdistanischen Hauptstadt angekommen sind. „In der ist aber die Sonne drinnen!“ sagte Klári. Und tatsächlich, als ich näher rangetreten bin, sehe ich selber, dass inmitten der rot-weiß-grünen Fahne die Sonne mit ihren einundzwanzig Strahlen gold glänzt. Die nationale Flagge der viel gelittenen Kurden ist in den Nachbarländern – Syrien, Iran und in der Türkei verboten.

Räumungsplan und Wasserpfeife

Seit Sommer 2016 ist ein Regionalbüro des Hilfswerks, was auch von der evangelisch-lutherischen Kirche (einer der Gründer) unterstütz wird, im 500.000 Einwohner zählenden christlichen Stadtviertel Ankawa  tätig.  Hier haben wir uns nicht nur mit zwei heimischen Mitarbeiter des Hilfswerkes, mit Dániel Belényi und Zita Andrássy getroffen, sondern auch mit dem Generalkonsul Csaba Vezerkényi und Militärdekan László Mészáros, der als Oberstleutnant bei der ungarischen Mission in Irak Dienst leistet. 

Der Generalkonsul versucht trotz der kurzen Zeit, die wir haben, uns über die brennende politische Lage im Nahen-Osten zu informieren, uns ins Bild zu setzten: über die Feindlichkeit der Großmächte gegenüber einander, die Auflösung der Interessenvertretungen der 300 irakischen Christen. Dann spricht er gerade von den Verpflegung der Verletzten, die aus Mosul nach Erbilb gebracht wurden, als Dani eine Zwischenbemerkung macht: „Es leuchtet wieder rot! Es gibt Strom!“. Nach diesem kurzen Einblick in die örtlichen Verhältnisse, kehren wir zum Schicksal der irakischen Christen zurück. Sie sind wahrscheinlich die größten Leittragenden des Krieges. „Während Saddam waren ihre Hände im heißen Wasser, heute aber schon im Feuer“ – erklärt die Lage uns durch dieses plastische Bild der Generalkonsul. Während unseres Gesprächs kommt die Rede auf den Räumungsplan (wo jeder nur 10 kg Eigentum mit sich nehmen durfte), die Epidemiegefahr, wie auch die vielen hiesigen Projekte der ungarischen Regierung. 

Während Zita örtliche Süßigkeiten auf den Tisch legt, erfahre ich vom Militärdekan, welche Seelsorge die hier, weit weg von ihrer Heimat dienenden Soldaten bekommen. Am Freitag, der hier der Feiertag ist, nehmen sowohl Soldaten als auch Zivile am Gottesdienst des Konsulats teil. 

In diesem sehr schmackhaft eingerichteten Büro wurde der Mitarbeiter des Luther Weltbundes aufgenommen, das nicht nur die effiziente Mitarbeit von beiden sondern auch meine Orientierung erleichtert, da ich mir vorgenommen habe die Arbeit beider Organisationen kennenzulernen.

In der multikulturellen Stadt Erbilb gibt es Frieden. Menschen lächeln dich auf der Straße an, Männer rauchen vergnügt ihre Wasserpfeifen und  die meisten Frauen sind ohne Kopftuch und stark geschminkt zu sehen. Sich in der Stadt auszukennen ist aber nicht ganz leicht, da fast keine Straßennamen und Hausnummern zu finden sind. „Das dritte Haus in der Straße hinter der Tankstelle“ lautet die Wegbeschreibung. Deshalb ist es ratsam die GPS-Koordinaten gleich anzugeben: fast jeder orientiert sich mit Hilfe seines Handys. 

Ruinen und Hoffnungen

Am Sonntag müssen wir früh los. Wir werden vom kurdischen Mitarbeiter des Ökumenischen Hilfswerkes auf pfadlosen Wegen -  eine Weile ohne zu wissen, wohin genau - zu unserem Ziel gebracht. Wir müssen durch etlichen amtlichen oder durch Ortsbewohner illegal aufgestellte Check-Points gehen bis wir zu einem bestimmten gelangen, wo Pfarrer Emmanuel Youkhana auf uns wartet. Der international bekannte Leiter der syrisch katholischen Kirche empfängt uns freundlich in seinem lila Bischofshemd. Hierzulande  kennt ihn jeder, so werden wir ganz schnell, von den Bewaffneten ohne den Wagen eingehender zu untersuchen, weitergelassen. Während der Fahrt reden wir über die biblischen Bezüge des Landes. Natürlich wusste ich, dass die viel Leid erfahrene Stadt Mosul, die täglich in den Nachrichten zu sehen ist Ninive ist, doch ich war erstaunt darüber es zu hören, dass in dieser Gegend das Grab des Propheten Nahums zu finden ist. „Unser Volk aber mag ihn nicht allzu sehr, weil er vom Untergang Assyriens prophezeite. Umso beliebter ist Jonas, der von Bekehrung Ninives predigte“, sagt er scherzhaft. Dann aber habe ich keine Lust mehr zu lächeln, denn wir erreichen eine Landschaft, die voll von Ruinen ist. Vor einigen Monaten fanden hier erbarmungslose Kämpfe zwischen der Terroristengruppe IS und den Freiheitskämpfern statt. Davon zeugt das Schützengrab, das wir mit unserem Geländewagen durchqueren: in dessen die Sandsäcke und ein ausgebranntes Fahrzeug noch zu sehen ist. „Totally kaputt” –  sagt Pfarrer Emmanuel wortwörtlich, als wir in Batnay ankommen. Es ist, wie Dresden nach dem Ende des II. Weltkrieges: eine Gespensterststadt empfängt uns. Wir sehen nirgends ein wohlerhaltenes Haus. Überall sind bewaffnete Kräfte. Wenigstens die Mauern der Chaldäer Kirche stehen, doch der Alter liegt in Trümmern. Stein auf Stein. Gangränöse Balken richten sich gegen den Himmel. Der Priester übersetzt mir die an die Wand der Kirche gemalte arabische Schrift: „Das Kreuz wird nie einen Platz auf islamischen Boden haben.“ Danach versuche ich selber die deutsche Aufschrift zu entziffern: „Ihr Kreuzsklaven … (also die Gläubiger werden Sklaven des Kreuzes genannt) – raus, raus!“. Raus mit euch sonst werden wir euch niederschlachten!  - Schlachten – wie Tiere! Da fällt mir die Prophezeiung von Jesaja über Jesu, Gottes leidenden Diener ein: „… wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird …“ (Jes 53,7)

Ich weiß nicht wer diese fürchterlichen Zeilen geschrieben hat: ein in Europa groß gewordener fundamentaler Islamist oder ein gehirngewaschener deutscher Staatsbürger. Doch eines weiß ich: dass, das  im Jahre 2014 zu Grunde zerstörtes Kreuz wieder steht! Erschüttert nehme ich an der Liturgie teil. Die Gemeinde singt laut, der chaldäer Bischof spricht mit tiefem Glauben darüber, dass bei den Menschen vieles unmöglich ist, doch bei Gott ist alles möglich!

Ich habe mich zu Hause mit einer englischen Text auf den heutigen Tag vorbereitet, doch ich lege ihn zur Seite. Hier kann man nicht im Allgemeinen reden. Ich spreche einerseits vom Kreuztragen, nach dem Evangelium vom Sonntag (Matthäus 10,34-42), andererseits davon, dass man „ein Glas frisches Wasser“ den Bedürftigen zu geben hat und letztendlich weise ich auf die Frage von Peter hin. „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns dafür?“ (Matthäus t 19,27). Denn diese irakischen Christen haben alles verlassen, hinter sich gelassen. Ihr Zuhause, ihre Heime. Ihre Gegenstände, Dokumente, Kinderspiele. Ich zitiere das Wort Jesu: „Und wer verläßt Häuser … oder Äcker um meines Namens willen, der wird's hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben.“ (Matthäus t 19,29).

Nach dem Gottesdienst machen traurige Familien sich auf den Weg zu ihren Ruinenhäusern, die sie dann verlassen müssen. Man darf nicht hineintreten, da vielerorts noch die Minen herumliegen. Durch die zerschossenen Mauern kann man einen Blick ins Haus hineinwerfen, wo ich in Teile zerrissene Haushaltsgeräte, Kleider und Spielzeuge sehe. Ein Christusbild liegt am blutigen, schmutzigen Boden. Und dann erleben wir im wahren Sinne des Wortes: „Ein jegliches hat seine Zeit … weinen und lachen, klagen und tanzen …“ (Prediger 3,1-4)

Zwischen den Trümmern beginnt die Jugend schönen Antlitzes im Kreis zu tanzen. Sich aneinander festhalten fangen sie einen würdevollen Tanz zu tanzen, der aber langsam immer schneller wird – umgeben von lachenden und klatschenden Menschen. Nonnen halten die Hände von Waisenkindern.  Wir trinken guten örtlichen Wein. Das Leben will leben! Dasselbe erleben wir in Telskof. In einigen Ruinen-Garagen werden schon Lebensmittel verkauft, also langsam aber doch sickern die einstigen Bewohner zurück. Klára Keveházi unterhält sich mit dem hiesigen Ingenieur vor dem Altar der Ruinenkirche über die geplanten Aufbauarbeiten. Das Ökumenische Hilfswerk (in Ungarn) und die ungarische Regierung haben vor gemeinsam die Kirche und etliche Häuser zu renovieren. Sobald wir uns ins Auto setzen, lässt Priester Emmanuel das Fenster herunter. Er sagt keinen Segen, sondern fragt uns, ob wir am Abend der Mannschaft Barca die Daumen drücken werden, denn bald startet die Meisterschaft El Classico. Das Spiel sehen wir uns schon in Duhok, in dieser wunderschön gelegenen Stadt an. Nachdem Messi in der 93. Minute ein Tor schießt, hallt das Freudengeschrei durch die ganze Stadt. Bis spät in die Nacht hupen die Autos. Erst bin ich verärgert, dass ich so nicht werde schlafen können, doch dann gehe ich lieber unter die Leute. Ich bin kein Barca-Fan, doch ich feiere mit Ihnen.

Heilende Gespräche im Container

Am nächsten Tag führt uns unser Begleiter zu einem Kloster aus dem 6. Jahrhundert, dessen  Mönchwohnungen in die Felsen hineingebaut, -gegraben wurden.  Die Aussicht ist herrlich! „Da, hinter dem Berg liegt Mosul!“ sagt er. Wir schauen mit Klári aufeinander: wir wissen nicht was wir hören, ob das Geknalle ist oder  es nur donnert. Vor dem Grab des Propheten Nahums gedenken wir seiner. 

Am letzten, dritten Tag unseres Besuches gehen wir ins Büro des Lutherischen Weltbundes in Dohul. Wir werden von Ilona Gajdikova, der örtlichen Leiterin des Hilfswerkes Weltdienst vom Lutherischen Weltbund, empfangen. Wir gehen gemeinsam in das nah liegende Flüchtlingslager Dawudiya, wo 720 christliche, jesidische und muslimische Familien leben. Die LWB versieht hier vor allem hygienische Aufgaben: Filteranlagen werden in Betrieb gesetzt, Hygienepakete werden verteilt und es werden Kindern und Frauen Stunden in Containern angeboten, wo sie sich beschäftigen können. So können sie durch Spiele, Zeichnen und Gespräche all die traumatischen Erlebnisse aufarbeiten, die sie erleben mussten, als sie von zu Hause flohen, oder verschieden gequält sogar vergewaltigt wurden.  

Als in der Frauenrunde bemerkt wird, dass eine amerikanische Frau unserer Delegation ein Kind erwartet, schenken sie ihr spontan ein Babykleid. Die Männer finden selbst was zum Beschäftigen: zwischen Zelten und Containern spielen alte Männer mit Turbanen Schach.

Von den vielen Erlebnissen ein bissen schwindelig kehren wir nach Erbilb zurück. Wir verabschieden uns von Dani und Zita, denn sie arbeiten hier ununterbrochen gemeinsam mit den hiesigen Mitarbeitern und Freiwilligen. Ein Hilfswerk darf nur dann betrieben werden, wenn es ständig und langwierig anwesend ist. Jeden Tag stehen wir mit den Einwohnern im Kontakt. Diese opfervolle Arbeit kann man auch von zu Hause aus unterstützen. Mit Gebeten und finanziellen Mitteln. Wir dürfen die verfolgten Christen von Irak und anderen Ländern nicht auf sich alleine lassen!